Hilfe, ich bin ein Hochstapler: Über das Impostor-Phänomen und die Folgen

Von 11. Januar 2023 Health at Work

„Mein Erfolg ist nur Glück – und bald erkennen alle, dass ich eigentlich gar nichts kann.“ Manege frei für das Impostor-Syndrom. Mit von der Partie: Versagensangst, extreme Selbstzweifel und die Angst davor, aufzufliegen. Wir werfen einen Blick auf das Phänomen und die Hintergründe. 

„Was mache ich hier eigentlich? Ich kann das doch überhaupt nicht. Irgendwann wird denen auffallen, dass ich total unfähig bin. Dass mein Erfolg nur Zufall ist….“

Es ist vollkommen normal, dass wir unsere Fähigkeiten und Leistungen gelegentlich infrage stellen. Werden die Selbstzweifel jedoch extrem und manifestieren sich in Versagensängsten und der irrationalen Furcht, als Hochstapler enttarnt zu werden – dann handelt es sich um das sogenannte Impostor-Phänomen.  

Dabei unterschätzen Betroffene konstant sich selbst und ihre Leistungen. Führen ihre Erfolge nicht auf eigene Fähigkeiten zurück, sondern auf äußere Umstände und Glück.
Hinzu kommt die permanente Angst, dass der in ihrer Vorstellung existierende Betrug jederzeit auffliegen könnte. Daher auch der Name: Hochstapler-Phänomen („impostor“ oder „imposter“: engl. für Hochstapler, Betrüger, Schwindler). 

Das Phänomen ist keineswegs eine neue Erscheinung. Die ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema gab es bereits im Jahre 1978, als Pauline Clance und Suzanne Imes, zwei klinische Psychologinnen, die extremen Selbstzweifel als Phänomen bei erfolgreichen Frauen untersuchten. 

Wer ist vom Impostor-Phänomen betroffen? 

Das Impostor-Syndrom ist also eine Frauensache? Keineswegs.
In einer Studie der Martin-Luther-Universität (MLU) Halle-Wittenberg aus dem Jahre 2022 zeigen Psychologen, dass das Phänomen unabhängig von Alter, Geschlecht und Intelligenz auftritt. 

Es ist in der Regel mit (dem Wunsch nach) beruflichem Erfolg verbunden und betrifft somit hauptsächlich Menschen, die ambitioniert sind – und dabei meist erfolgreich in ihrem Job. Die eigene Ausbildung spielt ebenfalls eine Rolle: Personen mit hohem Bildungsniveau und qualifizierten Abschlüssen fühlen sich häufiger als Impostor als andere. Nochmal besonders betroffen sind dabei vor allem die Menschen, deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss haben, selbst aber eine akademische Laufbahn einschlagen. Sie plagt oft ein Gefühl von „Ich gehöre hier nicht hin. Ich bin hier falsch“.

Wieviele Menschen leiden also am Hochstapler-Phänomen?

Ganz sicher weiß man das nicht. Studien aus den 1980er Jahren schätzten, dass sich unter allen beruflich erfolgreichen Menschen rund 40% selbst als Hochstapler einordnen. Neuere Studien gehen inzwischen sogar davon aus, dass rund 70 % aller Menschen mindestens einmal im Leben davon betroffen seien. Allerdings in unterschiedlicherem Ausmaß.  

Wie stark das Impostor-Phänomen ausgeprägt ist und den (Berufs)Alltag der Personen beeinträchtigt, ist ein Zusammenspiel zahlreicher Komponenten. Neben der eigenen Persönlichkeit und individuellen Eigenschaften wie beispielsweise einem geringen Selbstwertgefühl, einem hohen Grad an Perfektionismus oder einer Tendenz zu Ängstlichkeit spielen auch das familiäre und berufliche Umfeld, sowie die eigene Sozialisation eine entscheidende Rolle. Und auch wenn das Phänomen kulturübergreifend ist, so tritt es verhältnismäßig häufiger in leistungs- und wettbewerbsorientierten Gesellschaften auf.

Welche Folgen hat das Impostor-Phänomen?

Nicht immer äußert sich der extreme Selbstzweifel in offensichtlich negativen oder eingeschränkten Verhaltensweisen.

Ganz im Gegenteil gelingt es vielen, die Angst vor Versagen in eine starke Leistungsmotivation umzuwandeln. Gepaart mit einem Hang zum Perfektionismus, großer Sorgfältigkeit, dem Drang, sich akribisch auf alles vorzubereiten, und der Bereitschaft, besonders hart zu arbeiten, resultiert dies oft in herausragenden Arbeitsergebnissen.
In dem Erfolg sehen „Impostor“ jedoch höchstens die Notwendigkeit des extremen Aufwands – niemals aber die Bestätigung ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen.
Das Ergebnis: Sie strengen sich noch mehr an, geben 200% – bis hin zur Verausgabung. 

Andere Betroffene wiederum neigen zu Prokrastination, d.h. dem Aufschieben von Aufgaben – oder aber sie gehen Aufgaben komplett aus dem Weg, bei denen die Gefahr des Scheiterns besteht. Vorsichtshalber machen sie sich bereits vorab klein, um der vermeintlichen Enttäuschung und Enttarnung bewusst zuvorzukommen. Das führt dazu, dass sie ihr Leistungsniveau nicht voll ausschöpfen können. Aus Angst vor Misserfolg bewegen sie sich hinter ihren Möglichkeiten. Jobangebote werden ausgeschlagen, Aufstiegschancen nicht wahrgenommen, Karrierewege abgebrochen. 

Die Strategien mögen sich unterscheiden, das Ergebnis bleibt dasselbe: Das konstant nagende Gefühl, nicht gut genug zu sein. Versagensängste. Befürchtungen, aufzufliegen. Menschen mit Impostor-Symptom zeichnen sich durch eine dauerhaft erhöhte Stressbelastung aus. Mit ungesunden Folgen für Körper und Psyche.

Dabei ist das Impostor-Phänomen keine krankhafte Beeinträchtigung oder Persönlichkeitsstörung und nicht als psychische Krankheit definiert, sondern eher eine Art Persönlichkeitsmerkmal, das unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Allerdings lässt sich bei Menschen, die darunter leiden, eine höhere Anfälligkeit für Depressionen feststellen. 

Tipps gegen das Impostor-Syndrom

Sobald die eigene Gesundheit und die persönliche Entwicklung darunter leiden, sollten Maßnahmen ergriffen werden, um den innerlichen Tiefstapler in die Schranken zu weisen und dem Impostor-Phänomen entgegenzusteuern.

Dabei geht es im ersten Schritt darum, Bewusstsein zu schaffen: Die dysfunktionalen Gedanken und verzerrten Denkmuster müssen als solche erkannt werden, um sie anschließend verändern zu können. 

Ziel ist es, das eigene Selbstwertgefühl aufzubauen, damit es möglichst unabhängig von den Bewertungen anderer ist. Ein realistisches Selbstbild, das Kritik einordnen, mit eigenen Fehlern konstruktiv umgehen und verdiente Erfolge feiern und genießen kann.

Folgende Strategien können dabei helfen: 

  • Reden: Zum einen hilft bereits der Austausch mit Menschen, die auch unter dem Syndrom leiden – und die man selbst für kompetent hält, um die eigenen Gedanken in Relation zu setzen. Zum anderen kann es – wie bei den meisten psychischen Belastungen – enorm helfen, die eigenen Ängste in Wort zu fassen und mit einer anderen Person zu teilen. Wer nicht reden möchte, kann die belastenden Gedanken auch schriftlich ausformulieren – auf Papier gebannt wirkt vieles in einem ganz anderen Licht, als wenn es nur in unserem Kopf herumspukt.
  • Erfolgstagebuch führen: Das schriftliche Festhalten von kleinen und großen Erfolgen und Fortschritten, Komplimenten und positiven Rückmeldungen jeglicher Art hilft zum einen dabei, sich durch die Augen anderer – also objektiver – zu beurteilen und so eigene Stärken zu sehen. Zum anderen ist es ein nützliches Nachschlagewerk, gerade bei der Vorbereitung auf herausfordernde Situationen. Wenn der negative Gedankenzirkus mal wieder viel zu laut wird, geraten Erfolge gerne in Vergessenheit.
  • Fokus auf die Fakten: Ist es eine Tatsache – oder eine verzerrte Wahrnehmung? Gibt es Beweise? Wenn der innere Tiefstapler mit Gefühlen wie Verzweiflung oder Angst nur so um sich wirft, ist es wichtig, sich auf die Fakten zu konzentrieren. Was kann ich sicher wissen? Wofür gibt es Beweise? Was interpretiere ich nur negativ? Das gilt sowohl in Bezug auf das Verhalten anderer als auch auf die eigenen Leistungen. 
  • Lernen, Komplimente anzunehmen: Schluss mit Abschwächung, wenn man ein Kompliment bekommt. Stattdessen mit einem schlichten „Danke, das freut mich.“ antworten. Das fällt vielen zu Beginn sehr schwer. Es lohnt sich aber, das zu üben. 
  • Feedback einfordern: Das mag sich für Betroffene im ersten Moment nicht gut anfühlen – es kann aber sehr hilfreich sein, aktiv um Rückmeldung zu bitten und somit die Kontrolle zu übernehmen.
  • Professionelle Unterstützung: Coaching oder Supervision oder  – bei sehr hohem Leidensdruck und der Verbindung mit Burnout oder Depression – eine Psychotherapie können sehr gut dabei helfen, ein realistisches Bild von sich und den eigenen Fähigkeiten aufzubauen und die Selbstzweifel zu minimieren. 

Abschied vom innerlichen Tiefstapeln

Das Gegenstück zum Impostor-Syndrom ist übrigens der Dunning-Kruger-Effekt: Bei diesem Phänomen überschätzen Menschen extrem ihr eigenes Wissen und Können, halten sich also für kompetenter, als sie tatsächlich sind. Auch hier liegt eine starke Diskrepanz zwischen der eigenen Einschätzung und den tatsächlichen Fähigkeiten vor. 

Wer jedoch nun Sorge hat, vom Tiefstapler zum tatsächlichen Hochstapler zu werden,  kann beruhigt sein: Menschen, die am Impostor-Syndrom leiden, können gar keine echten Hochstapler sein – das liegt in der Natur des Impostor-Phänomens. 


Weitere Artikel, die dir gefallen könnten

We use cookies to improve your experience on our website. By browsing this website, you agree to our use of cookies.

Anmelden

Anmelden

Vergessenes Passwort

Warenkorb

Warenkorb

Teilen